Donnerstag, 13. November 2014
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Habe ich eigentlich schon einmal erzaehlt wie ich darauf gekommen bin nach Nepal zu reisen? (Den meisten von euch vermutlich schon.)

Lange lange hatte ich vor gehabt als AuPair/Ergotherapeutin nach Australien oder in die USA zu gehen um dort in einer Familie mit behindertem Kind zu leben und zu arbeiten. USA oder Australien war monatelang die Frage. Monatelang. Alleine dass sich das alles ewig hinzog zeigte mir schon waehrend dieser Zeit, dass ich irgendwie ein Problem mit der Vorstellung hatte. Ich ignorierte das Gefuehl, schliesslich war das doch eine so tolle Moeglichkeit fuer mich und sowieso ist das doch auch gut fuer den Lebenslauf und vielleicht bekomme ich so neue Ideen und Impulse fuer mich als Ergotherapeutin und… dann… ja… wurde ich immer zoegerlicher und obwohl ich die ersten Skype-Interviews mit den Familien am Laufen hatte und alles so aussah als wuerde es blad los gehen, konnte ich dieses Gefuehl in mir, das dagegen sprach einfach nicht abstellen. Und auch nicht mehr ignorieren. Was ebenfalls fuer das Programm sprach war die Tatsache, dass ich so endlich mal weg konnte. Endlich mal das machen, was ich schon seit ueber zehn Jahren machen wollte. Eine andere Kultur, andere Menschen, eine andere Umgebung kennen lernen. Aber tjoa... was tun jetzt wo ich mich gegen das AuPair-Ding entschlossen hatte? Ich hatte meinen Job geschmissen, der mich mehr als unglueckich gemacht hat, arbeitete wieder in meinem geliebten Teeladen und lebte von Ersparnissen. Wie also reisen mit so wenig Geld? Diese Frage habe ich mir jahrelang gestellt, jetzt aber erst wurde ich wirklich aktiv, wollte es also womoeglich erst jetzt so richtig richtig.

Australien fiel allein wegen den Flugkosten weg, USA reizt mich allgemein nicht so sonderlich. Ich erfuhr, dass man so gut wie ueberall auf der Welt auf Farmen arbeiten und leben kann, was mich ebenfalls sehr ansprach. Mal was komplett anderes machen. Frische Luft, Natur, Pflanzen, Tiere, saucool. Nach Norwegen wollte ich schon immer mal oder Portugal und irgendwann hatte ich doch diese Nepal-Doku im Fernsehen gesehen, die mich so neugierig gemacht hat… ich schrieb also mehrere Laender an, ganz entspannt und ohne grosse Erwartungen. Norwegen war zu dem Zeitpunkt mein Favourit. Norwegen im Winter, bravo Corinna.

Eines schoenen Augustmittages sass ich waehrend der Arbeit im Laden und mich erreichte eine aeusserst liebenswuerdige email aus Nepal. Die Moeglichkeit hier auf Farmen zu arbeiten ist enorm hoch. Erfreut darueber, aber in Gedanken noch bei Norwegen, schaute ich rein aus Interesse nach Flugpreisen nach Nepal. Ich war irritiert als ich die billigsten Fluege zu genau meinem Wunschzeitraum fand. Schon eine Woche vor- oder nachher haetten mich die Fluege mehrere hundert Euro mehr gekostet. Ok. Also ich glaube ja an Zeichen und all das, bin in den letzten Jahren aber diesbezueglich skeptischer geworden und distanzierter. Verschlossener ist wohl der passendste Ausdruck. Also legte ich nicht allzu viel Bedeutung in die Sache. Als dann aber eine Stunde spaeter ein Nepal-T-Shirt den Laden betrat, war ich endgueltig verwirrt. Ich musste hinhoeren. Noch bevor ich die Moeglichkeit bekam mit der Traegerin des T-Shirts zu reden, hatte sie den Laden schon verlassen. Also Fluege reserviert, ein erfrischend gutes Gefuehl verspuert, eine Nacht drueber geschlafen und am naechsten Tag die Fluege gebucht. Inklusive diesem fetten Gefuehl alles genau richtig zu machen.

Ihr wollt sicher jetzt mal was von Nepal lesen, hm? Ein paar Bilder und spannende Geschichten und so weiter… Geduld Geduld. Das ist hier in Nepal nicht nur eine Tugend, sondern eine Art Grundgesetz.

Aber ok. Nagarkot. Ein kleiner Ort nicht weit entfernt von Kathmandu, der aufgrund seines tollen Ausblicks viele Touristen anlockt. Dort in der Naehe lebte ich also die folgenden zwei Wochen in einem Homestay mit Pramila und Shanta. Pramila verliess vor elf Jahren ihren Mann, zog alleine mit ihren zwei Kindern von Chitwan nach Kathmandu um dort arbeiten zu koennen und nach zehn Jahren als Lehrerin kaufte sie sich dieses Jahr das kleine Stueckchen Land in der Naehe von Nagarkot und moechte jetzt ihren Traum verwirklichen und dort selbstversorgt leben und Frauen einen Ort bieten, die einen sicheren Ort benoetigen. Shanta beispielsweise lebte und arbeitete in der Nachbarschaft fuer zwei Personen, ein Arzt und eine Heilerin. Sie kuemmerten sich aber einen Dreck um Shanta und halfen ihr nicht einmal als sie aus mehreren Metern Hoehe von einem Baum fiel. Seitdem lebt sie bei Pramila. Zu ihrer Familie kann und will sie nicht mehr, da ihre aelteren Brueder “nicht nett sind” wie sie mit einem Laecheln sagte. Es spielt auch eine Rolle, dass sie nicht verheiratet ist und somit noch Recht auf das Erbe der Eltern hat, was ihre Brueder natuerlich sehr stoert. Als ich das alles hoerte und waehrend der zwei Wochen, die ich mit diesen froehlichen und klugen Frauen verbracht habe, bin ich nachdenklich geworden. Wir alle wissen von den Umstaenden unter denen viele Frauen hier leiden, so nah war ich dem ganzen aber noch nie. Wie auch? Pramila ist jedenfalls eine bemerkenswerte Persoenlichkeit, ihr gehoert mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Man koennte ein Buch ueber sie schreiben. Dafuer fuehle ich mich aber nicht in der Lage. Sicher ist jedenfalls, dass ich im Januar noch ein paar Tage bei ihr verbringen werde.

Aber hey, das klingt alles viel nachdenklicher und ernster als es war. Es war genau das Gegenteil. Als ich ins Haus kam, fielen mir sofort die vielen Bilder an den Waenden auf, die von anderen Volunteeren vor mir gemalt wurden, die selbstgebastelten Sachen, die vielen Buecher, ein paar Instrumente und der Ausblick vom Balkon hat auch alles andere als eine truebe Stimmung hervor gerufen.

Pramila liebt Kunst, das Malen, Singen, Tanzen und die zwei Wochen erlebte ich als inspirierend und froehlich. Ich lernte nepalesische Lieder, malte Bilder, haekelte Muetzen fuer ihren Shop und kuemmerte mich um die vorbei kommenden Touristen, gab ihnen kostenlosen Tee und hatte viele Gespraeche mit Leuten aus der ganzen Welt. Hier moechte ich eine Anwaeltin aus Deutschland erwaehnen, die schon nahezu die ganze Welt bereist hatte. Zwischen uns hat die Chemie auf Anhieb gestimmt und so erzaehlte sie mir leicht verschaemt, dass sie nach Nepal gekommen sei, weil sie neugierig war wie es hier riecht. Das fand ich ein bisschen verrueckt und cool. Mit feuchten Augen meinte sie dann, dass sie so gluecklich sei, denn es sei genauso wie sie es sich vorgestellt hatte. (Ich belies es dabei, fand das erneut verrueckt und suess und erwaehnte nicht wie ekelhaft ich diesen Smog-Gestank in Kathmandu finde, igitt…)

Das isses:
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Zu meiner grossen Freude kamen die letzten paar Tage noch Sabrina aus Kassel und Judith aus Potsdam dazu und wir hatten eine schoene Zeit, spielten abends Karten und machten Musik oder schwiegen auch einfach mal einen kompletten Tag, weil Pramila der Gedanke gefiel und es ausprobieren wollte.

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Momo-Session.

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Genau das sah ich jeden Morgen noch im Bett liegend, da mein Bett direkt neben dem Fenster stand. Hinten sah man normalerweise noch das Gebirge.

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Ja und das Bild find ich einfach nur irgendwie witzig.

Auch gab es wieder ein Fest zu feiern, Tihar. Das zweitgroesste hinduistische Fest, dass ueber mehrere Tage geht. Am letzten Tag wird jedoch hefitg gefeiert, es gibt ne Menge Suessigkeiten…

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Ein vorbei kommender Tourist aus Belgien hatte am selben Tag wie Sabrina und ich den Plan zum Changu Narayan zu wander, ein Tempel und Weltkulturerbe ein paar Stunden entfernt zu Nagarkot. Also schliessen wir uns ihm an und hatten ebenfalls eine schoene Zeit.

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Abends erzaehlte der Belgier, dass er nach Pokhara weiter zieht, eine Stadt (DIE Touristenstadt hier schlechthin) am Fusse des Annapurna und dem dazugehoerigen sehr beliebten Trekkinggebietes. Eingeplant hatte ich diesen Ort am Ende meiner Reise, aber aehnlich eingebungsvoll wie die ganze “so bin ich nach Nepal gekommen”-Geschichte und die Gefuehle dabei, empfand ich den Moment und wollte nach Pokhara. Das Gefuehl passte, die Zeit passte, da ich eh weiter wollte und meine geplante Route schon mehrere Tage nich so ganz meiner Stimmung entsprachen. Also “warum den Pudding bis zum Schluss aufheben, wenn man eigentlich schon voll is?”

Also Pokhara. Hier bin ich nun seit ein paar Tagen, weiss nich genau, wie viele. Viel Sonne, Wasser (grosser Lake), viel Musik, Berge, eine Menge rumschlendernder Hippies und viele andere entspannte Leute. Ein Haufen Cafes und Restaurant, liebevoll und cool verziert. Ich geniesse das gerade sehr, bin entspannt wie… ich glaube wie noch nie. Fuehle mich inspiriert, habe mir Farben gekauft, einen Ort gefunden an dem ich jederzeit ein wenig Gitarre spielen kann (auch wenn es nicht vergleichbar ist mit einer eigenen Gitarre im eigenen Zimmer). Fuehle mich anders hier. Die Zeit laeuft anders, manchmal hat man das Gefuehl, dass sie gar nicht existiert. Es ist teilweise wirklich paradiesisch.

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Der Blick von meinem Balkon.

Es klingt alles so super und toll und entspannt was ich hier so schreibe, ich habe hier aber vor wenigen Tagen ein ziemlich aufwuehlendes Tief erlebt, das ich erwaehnen will, da solche Momente ebenso zum Reisen gehoeren wie Sonne und schoene Augenblicke in schoenen Cafes mit schoenen Menschen und schoener Musik.

Es ging in meinem Kopf um viele Dinge, ich dachte einfach unglaublich viel. Einsamkeit war Topthema. Ich habe mich alleine gefuehlt, sehr. Ich wanderte am Lake entlang, die Sonne schien mir ins Gesicht, ich setzte mich in ein huebsches Café keine 20 Meter vom Wasser entfernt, trank einen leckeren frischen Saft und genoss den Ausblick auf die Berge und deren Spiegelbild im Wasser. Es war nahezu perfekt. Aber ich war alleine. Und je schoener die Momente waren, desto schlimmer fand ich diese Tatsache.

Ich glaube alles fing an meinem Geburtstag Ende Oktober an. Die meisten Nepalesen feiern diesen Tag nicht. Ich war alleine bei Pramila und Shanta und dachte den ganzen Tag an meine Familie und meine Freunde. Irgendwann lief ich nach Nagarkot, spazierte rum, versuchte mit meinem Freund zu skypen, was nicht funktionierte, stiess mir den Kopf ganz schoen uebel und war irgendwie nicht in Feierlaune. Ich kaufte mir einen Ring als Geburtstagsgeschenk, was schoen, aber eben auch irgendwie traurig war. So war es auch hier anfangs in Pokhara. Alles super schoen, aber irgendwie auch traurig. Viele, die mich kennen, wundern sich jetzt vielleicht. Mir war es auch neu, dass ich so Schwierigkeiten haben kann neue Leute kennen zu lernen und auf sie zuzugehen. Ich war aber einfach gefangen in dem Gefuehl. Meine Wahrnehmung war auf eine Art und Weise verzerrt, die mich zwang mich mit den Gefuhelen auseinander zu setzen. Es schien wichtig zu sein. Ich hatte irgendwann das Gefuehl, dass es vielleicht einfach so sein soll. Und dass das auch irgendwann vorbei geht. Auf meinem Bett liegend und denkend, die Schatten beobachtend, ueberliess ich alles der Zeit.

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Ich wusste dann, was wichtig war. Bewusst dafuer sorgen ueber Wasser zu bleiben, lesen, malen, einfach aktiv bleiben, unter Leute gehen, auch wenn man keine Lust darauf hat, aber alleine sein macht das Alleinesein noch schlimmer. Und vor allem: lieb zu sich zu sein. Das klingt so platt, ist aber so wichtig. Das klingt eh alles nach "Das wusste ich doch schon vorher", hat hier aber nochmal eine ganz neue Bedeutung bekommen. Und ich habe einfach akzeptiert, dass es Tage gibt, an denen ich einfach keine Macht ueber meine Gedanken und Gefuehle habe und sie hin nehmen muss. An denen ich einfach mal total small-talk-muede bin und mich einfach nicht auf meinen Gespraechspartner konzentrieren kann und vielleicht auch gar nicht will.

Alleinsein ist jedenfalls etwas, was ich hier sehr gut lerne. Aber an einem Ort wo viele gut gelaunte Traveller unterwegs sind und zusammen Spass haben, hat mich das erstmal etwas zu nachdenklich gestimmt. (Ich muss aber auch erwaehnen, dass ich nicht eine Minute daruber nachgedacht habe nach Hause zu wollen. Das war nie Thema. Es ist was anderes als Heimweh. Im Nachhinein faellt mir auch auf, dass ich nicht einmal geheult habe, was sonst in schweren Zeiten ziemlich typisch fuer mich Heulsuse is. )

Nun, “alles geht vorbei”. Und so regenierten sich mein Kopf und mein Herz fast ohne Dazutun und ich ertappe mich immer oefter entspannt in small-talks oder auch in weniger smallen und laechel viel herum und freu mich einfach nur extremst, dass ich hier bin.
Ich habe neuerdings auch nette Nachbarn. Lucy aus Australien und Markus und Manuel aus Oesterreich. Es ist cool und gestern wanderten wir zusammen zur World Peace Stupa. Seit drei Wochen denke ich darueber nach, dass ich gerne Trekken gehen wuerde. Und so Ein-Tag-Trekks befriedigen mich einfach nicht. Der Blick jeden Tag auf den Himalaya haben was in mir angestellt und ich hatte manchmal das Gefuehl, dass die Berge fluestern. “Corinna, komm her…” Jaja ich weiss, albern. Ich darf das, ich bin in Nepal.

Gestern auf dem Weg zur Stupa wurde aus dem Fluestern ein Rufen als die Berge so nah wie nie vor mir im Himmel auftauchten. Es wirkte surreal, nicht moeglich, das auf nem Foto zu zeigen. Ich hatte keine Ahnung, was fuer eine enorme Anziehungskraft Berge auf mich haben koennen.

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Aber alleine trekken? Welch Zufall… hust… dass Manuel und Markus am Montag einen fuenf-Tages-
Trek starten. “Ich kann mir das eigentlich nicht leisten.” Dieser Satz ist eingebrannt in meinem Hirn. “Man braucht ne Genehmigung, die teuer is und Klamotten leihen kostet und n Eintritt fuer das Gebiet gibt es auch und das Essen ist so teuer und…” Blaaablabla. Diese Gedanken haemmern seit Wochen auf meinen Wunsch ein, versuchen ihn zu baendigen. Klappt nicht. Die Berge rufen zu laut.

Gegen jegliche Vernunft starte ich also hoechstwahrscheinlich am Montag in die Berge. Hier wird Vernunft einfach anders definiert. Und alles andere wird sich klaeren. Sollte ich am Ende wirklich pleite sein, mach ich hier n Spendenaufruf oder geh betteln wie so viele hier.

Und Mama, die Antwort auf deine Frage, ob alle Menschen hier so huebsch sind wie auf meinen Bildern ist eindeutig. Ja, sie sind es. Und wenn nicht, sind sie nicht minder interessant. Was mich mindestens genauso fasziniert und neugierig macht wie die Berge, sind es die Menschen hier und die Gesichter. Ich habe schon viel Zeit damit verbracht, Leute einfach nur zu beobachten (das ist uebrigens auch ne Faehigkeit, die ich an vielen Nepalesen beobachten kann) und es wird nie langweilig.

Wahr:

(http://vimeo.com/84254870)


Also dann...

I love you, bis zum naechsten Mal.


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