Samstag, 28. Februar 2015
4 - Last Chapter
Ich hatte am 2.1. folgenden Eintrag verfasst, mich dann aber doch gegen Veröffentlichung entschieden. Warum, kann ich nicht mehr genau sagen. Es war ne besondere Zeit. Lest selbst...

Lang lang ist's her. Wollte mich aber auch nicht zum Schreiben zwingen. Dachte mir aber, so am zweiten Tag des neuen Jahres kann ich mir mal die Zeit nehmen und seit zwei Tagen befinde ich mich erneut in Pokhara und es ist nach wie vor inspirierend. Sitze auf der Terasse meines Guesthouses und hinter mir spielt jemand Gitarre, vor mir sehe ich den See und die Berge und frage mich, ob ihr das überhaupt wissen wollt...

Wo war ich stehen geblieben? Oje, noch vorm Trekken... mir kommt das schon so lange her vor, aber ich denke sehr gerne daran zurück. Gerne würde ich meinen Gesichtsausdruck und das Leuchten in meinen Augen in Worte fassen können, wenn es darum geht. Denn mir fällt es schwer dieses Gefühl, das mir der Trekk gegeben hat, in Worte zu fassen. Es war sehr sehr gut und obwohl es vermutlich (bis dahin) das anstrengendste war, was ich in meinem Leben gemacht habe, habe ich jede Minute, jedes "ich kann nicht mehr, meine Beine zittern zu sehr" genossen. So viele Stufen, soooo viele Stufen, die ich genommen habe, bloß um irgendwann auf 3000 Meter Höhe um sechs Uhr morgens den Sonnenaufgang zu beobachten ... warum macht man so Scheiß? Ich habe ja schon von der Anziehungskraft der Berge geschrieben und diese Kraft, die mich von weitem angezogen hat, schien mich während des Trekks immer wieder anzutreiben. Es steckt so viel Energie, so viel Leben in diesen Bergen, ich finde das noch immer verrückt.

Unser Trekk führte uns anfangs an einem Fluss entlang, durch große Felder zu den großen Bergen vor uns. Dann erinnere ich mich nur noch an viele viele Stufen... ich habe irgendwann aufgehört nach oben oder vorne zu schauen, denn wenn man denkt, man kann nicht mehr und vor sich noch hunderte von weiteren Stufen sieht, dann kann man tatsächlich nicht mehr und es bleibt schwer. Eine... Stufe... nach... der... anderen... eins... zwei... eins... zwei... ein... aus... ein... aus... ein... aus... Außer Puste kurze Rast und weiter geht's. La... la... la... la... la... eins... zwei... eins... zwei... ei... aaahh.... scheiße!!! Wann zur Hölle... sind... wir... denn... endlich... da?... so oder so ähnlich waren meine Gedanken die ersten beiden Tage als es so gut wie nur bergauf ging. Ich hatte erwartet, dass ich während dem Trekk über viele Dinge mal in Ruhe nachdenken kann, aber nö, ich dachte eigentlich kaum und das war es wohl, was mich so beflügelt hat. Das uns diese krasse körperliche Anstrengung. Den ganzen Tag mein Herz zu spüren und wie es arbeitet, hat mich hin und wieder darauf aufmerksam gemacht, wie schön es doch ist, dass ich gesund und am Leben bin. Peace Freunde.

Hm. Ich denke an die Wälder, durch die wir getrekkt sind, diese unbeschreibliche Natur, die frische Luft und die vielen Bäume, die (und das mag an der Höhenluft gelegen haben oder an dem Zustand, den ich durch arge körperliche Anstrengung und wenig Denken erreichen kann) so lebendig wirkten, ehrlich. Es war alles wie verzaubert, ein Troll oder ein Geist hinter einem Baum hätten mich nicht verwundert. Es waren keine Drogen im Spiel. Bloß die Berge, die Natur in Kombination mit meinem bunten Hirn. Erwähnen will ich auch die Strecke in der wir durch Bäume gewandert sind, deren Wurzeln als Stufen dienten. Es wirkte auf mich so als würden die Bäume das wissen und uns helfen wollen. :D Alter, ich muss da wieder hoch, so im Nachhinein finde ich das sehr witzig und der Kerl neben mir gerade muss mit mir lachen. Er weiß nicht worüber, aber er lacht mit.

Fotos können nicht ansatzweise rüber bringen, was ich da erlebt habe. Ich entscheide mich komplett gegen Bilder, nehmt es mir nich übel. Es macht wenig Sinn.

Der Flow nach dem Trekk als ich wieder in Pokhara angekommen war, war ebenfalls unbeschreiblich. Selten habe ich mich so leicht gefühlt, so erschöpft und gleichzeitig so energiegeladen. Das fette Grinsen auf meinem Gesicht verschwand erst nach etwa drei Tagen wieder. Der Muskelkater und das Laufen wie ein Roboter ebenfalls. Ich möchte irgendwann im Leben wieder trekken, dann in höhre Gebiete, wo ich auch Yaks sehen kann und anfassen und mit ihnen umher laufen. Ein anderer Traveller hat mir davon erzählt und er sah so selig dabei aus, das muss was ganz besonderes sein.

Ich habe viel Zeit hier in Pokhara verbracht, weil dieser Ort wie oben schon erwähnt sehr inspirierend und friedlich ist. Ich hatte hier eine Gruppe von Leuten gefunden, darunter auch eine Hamburgerin, Julia, mit der ich mich auf Anhieb gut verstand und mit der ich mich über viele, sehr persönliche Dinge unterhalten konnte und ebenso gut über ne Menge Mist, viel gelacht hab ich in der Zeit. Nach wochenlangem alleine reisen und so vielen Gedanken und Eindrücken und kleinen Einsamkeits-Tiefs (siehe vorheriger Eintrag) genoss ich die Zeit und auch wenn hin und wieder der Gedanke aufkam, dass ich meine Zeit hier in Nepal auch "sinnvoller" nutzen könnte, bereue ich absolut nichts. Eine kleine Party an Vollmond mit Lagerfeuer und Gitarrenmusik und lustigen Leuten um mich rundete meine Zeit in Pokhara ab, bevor es dann zurück nach Kathmandu ging.

Grund für meine Kathmandu-Rückkehr war ein Vipassana-Meditations-Kurs. Als ich in Kathmandu ankam und schon wusste, wo ich wie hin muss, welchen Bus ich nehmen muss, wo ich was finde etc, da spürte ich so etwas wie Heimatgefühle und ich habe die Stadt nicht ansatzweise so chaotisch und verwirrend erlebt wie zu Beginn. Das war ein sehr schönes Gefühl und ich stellte fest, dass ich Kathmandu, trotz viel viel Lärm und Luftverschmutzung, vielen Menschen, vielen kranken Straßenhunden und viel Armut, echt gerne habe.

Wer aufmerksam beim Lesen war, hat bemerkt, dass nach dem Trekk etwas folgen sollte, was noch anstrengender war als der Trekk. Mag vermunderlich wirken, aber der Meditations-Kurs hat mich bisher in meinem Leben am meisten gefordert, körperlich wie geistig.

Vipassana ist eine Technik, die von Buddha höchstpersönlich vor 2500 Jahren entdeckt und entwickelt wurde mit dem Ziel, den Geist zu reinigen um "die Dinge zu sehen, wie sie sind", frei zu werden von allem Leid und so weiter. Ich könnte mich hier jetzt stundenlang mit Erklärungen und Erläuterungen rumschlagen, aber ich kann es definitiv nicht begreiflich machen, da es eine Sache ist, die man erleben muss. Ich will auch nicht zu verblendet klingen, für manch einen (vor allem Skeptiker und die, die in Mediation nur irgendwas sehen, was durch langweiliges Rumhocken Entspannung bringen kann, wenn man daran glaubt usw.) könnte eine genauere Ausführung zu abstrakt klingen und ich will nicht, dass irgendjemand glaubt, dass ich hier in die Fänge einer Sekte gelangt bin oder ähnliches. ;)

Die ganze Angelegenheit war mehr als pragmatisch und es geht in keine bestimmte Glaubensrichtung, auch wenn die Technik von Buddha entwickelt wurde. Vipassana-Kurse werden auf der ganzen Welt gelehrt, in eigenen Zentren, in Kirchen, in Moscheen, in hinduistischen Tempeln und und und... es ist ein universelle Technik, jeder kann sie sich zunutze machen. Im größten Gefängnis in Indien mit mehreren tausend Insassen ist der erste Vipassana-Ashram (ein Ort an dem Meditation gelehrt und praktiziert wird) entstanden, nachdem ein Versuch durchgeführt wurde indem Insassen an solch einem Kurs teilnehmen mussten. Die Ergebnisse übertrafen alle Erwartungen (Massenmörder fielen unter Tränen ihren Wärtern in die Arme und das war und ist kein Einzelfall) und mittlerweile werden dort zwei Kurse monatlich gehalten, um die Häftlinge zu sozialisiseren, ihnen zu helfen und zu besseren Menschen zu machen. Es gibt Gefängnisse in Amerika und so weit ich weiß auch in Europa, die von den Erfolgen gehört haben und sich ein Beispiel daran genommen haben und mittlerweile ebenfalls diese Kurse in ihren Gefängnissen halten. Dass die Regeln eines solchen Kurses strenger sind als die im Gefängnis, auch das wird immer wieder von Häftlingen bestätigt...

Um vier klingelte jeden Morgen die Glocke, um halb fünf begann die erste Meditation, zwei Stunden. Mini-Frühstück, Meditation, Mittagessen, Meditation, Teepause, Meditation, Lehrstunde, Meditation, Schlafen. Zehn Stunden Meditation täglich. Zehn Tage lang. Es darf nicht geredet werden, kein Kontakt, auch kein Blickkontakt (Ausnahme sind Lehrer und Mitarbeiter, aber auch hier möglichst kurz halten), jeder soll so isoliert wie möglich arbeiten, kein Lesen, kein Schreiben, kein Internet, kein Handy, keine Musik. Das mag alles zu extrem wirken, zu streng, zu überflüssig, ich war vor dem Kurs auch skeptisch und dachte mir, dass das vielleicht etwas übertrieben ist. Im Laufe des Kurses habe ich aber kapiert, dass es nötig ist. Es ist ein Prozess, der sehr tief gehen kann (auch nicht bei jedem) und das Herumwerken am Unterbewusstsein kann ohne feste Regeln und strikte Anweisungen sogar gefährlich werden. Es ist so. Die Psyche ist sehr angreifbar. Es ist keine Sache, die man eben mal so aus Spaß macht. Ich hatte keine Erwartungen an den Kurs, hatte keine bestimmten Ziele oder Ansprüche. Ich wusste nur, dass es harte Arbeit wird, dass es eine krasse Erfahrung wird und dass es womöglich eine Möglichkeit darstellen kann, meine Gedanken besser unter Kontrolle zu bringen oder besser gesagt, einfach Ruhe in sie zu bringen. Und diesen Wunsch, den habe ich schon sehr sehr lange.

Die ersten drei Tage sind genau dafür gedacht. Erstmal Ruhe in die Gedanken bringen, Aufmerksamkeit gerichtet auf den Atem. Am dritten Tag dachte ich ernsthaft, dass ich wahnsinnig werde. Dabei habe ich nichts anderes getan, als einfach nur meinen Atem zu beobachten. Es probiert. Das ist so leicht gesagt, aber probiert es mal aus. Fünf Minuten Augen zu und man stellt fest, was für ein dickes Chaos im Kopf herrscht. So viele, sooo viele Gedanken, die unwillkürlich ihre wilde und chaotische Party im Kopf halten und mehr Einfluss auf uns haben als die meisten vermutlich denken. Kann auch hin und wieder ganz lustig sein, ich musste mehrmals schmunzeln, aber meistens war es doch einfach nur ein wirres Gequatsche meines Geistes. Obejktiv bleiben, einfach nur beobachten, nicht reagieren, zusehen, zuhören und immer wieder auf den Atem zurück kommen... drei Tage lang.

Dann ging die eigentlich Vipassana-Meditation los. Da geht es nicht mehr nur ums Beobachten des Atems, sondern der Körperempfundungen in einer bestimmten Reihenfolge. Und dazu gehören auch Schmerzen. Diese objektiv beobachten mit dem Gedanken an und der Entwicklung von Gleichmut und dem Wissen, dass sie kommen und von alleine auch wieder gehen, so wie alles. Das war unsere Hauptaufgabe. Still sitzen und nicht reagieren. So viele Schmerzen, so verfickte Schmerzen, es gab Momente, da überkam mich Wut, Hilflosigkeit, Zweifel an der Technik und so wie jeder gab es auch bei mir einen Tag an dem ich einfach nur fliehen wollte. Abgesehen vom physischen Schmerz kommen nämlich auch viele viele Gedanken, Erinnerungen, Gefühle in einem hoch, die sehr aufwühlend sein können und die man einfach gerne da lassen will, wo sie her kommen. Im Unterbewusstsein. Dass beim Rumwühlen in diesem sensiblen Gebiet was aufschreit und fliehen will, das ist natürlich und man muss ebenso dies objektiv betrachten und daran denken, dass es vorbei geht, wenn man es einfach lässt und nicht reagiert. Warum macht man sowas bitteschön? Um den Dreck aus dem Unterbewusstsein zu holen. Dass das Unterbewusstsein und der Körper und die Empfundungen in unmittelbarem Kontakt stehen, das sollte jeder wissen. Es ist wissenschaftlich bewiesen und psychosomatische Störungen sind heute keine Seltenheit. Bei Vipassana geht es darum, erst einmal die Knoten im Unterbewusstsein zu lösen und das äußert sich eben auf körperlicher Ebene. Ich wollte das zu Beginn selber nicht glauben und war die ganze Zeit über skeptisch und forschend unterwegs, aber ich bin nicht die einzige, die dem ganzen so gegenüber stand und noch immer steht. Buddha selber mochte diese Art von Schüler am liebsten. So wird es jedenfalls gesagt. Je skeptischer und fragender man ist, desto besser. Nur offen sollte man bleiben und ja... objektiv.

Was dann? Was, wenn man die Knoten gelöst hat? Das dauert sehr lange und bedeutet viel Geduld und Arbeit, aber im Laufe der Zeit kann man Empfindungen ganz anders beobachten, sehr viel schärfer, genauer, intensiver. Das Gefühl dafür, dass alles kommt und wieder vergeht, in diesem Fall jede Empfindung, wird stärker und es verfestigt sich im Kopf, man erkennt es in allen Dingen. Man wird aufmerksamer, konzentrierter und man lernt objektiver zu sein durch das reine Beobachten. Beispiel: etwas macht einen wütend, so wütend, dass man ausrasten könnte. Man möchte den Grund, der einen wütend gemacht hat, anschreien und kaputt schlagen oder umbringen (im schlimmsten Fall), man ärgert sich weiter und weiter und immer wenn man daran denkt, wird man wieder wütend. Oder man ist traurig über eine Sache und jede Sekunde, die man daran denkt, möchte man weinen. Man kann die Wut oder die Trauer nicht beobachten. Man kann aber seinen Atem beobachten, seinen Herzschlag, die sich definitiv verändern, wenn man in Wut gerät oder in Trauer. Was bringt das? Man bringt sich schneller wieder runter auf den Boden der Tatsachen. Wie gerne steigert man sich in seine Wut rein, malt sich alle möglichen Szenarien aus und verliert dadurch den Bezug zum eigentlichen Problem. Man verliert die Kontrolle. Und das hindert einen daran klar denken und bedacht handeln zu können. Und das führt unweigerlich dazu, dass man sich schlecht fühlt. Und so passiert es immer und immer und immer wieder, wenn man nicht anfängt, sich damit auseinander zu setzen.

Man lernt dadurch auch besser im Hier und Jetzt zu leben und Gedanken an die Vergangenheit und die Zukunft, an das, was sein könnte, aber nicht ist, Gedanken sein zu lassen und ihnen nicht mehr so viel Bedeutung zu geben. Es ist schwer zu beschreiben, sehr. Jeder, der sich mehr dafür interessiert, kann mich gerne anschreiben, anrufen, ausfragen. :)

Ich bin sehr weit von dem Zustand entfernt, den ich gerade beschrieben habe. Ich bin jetzt nicht wie ausgewechselt oder so, ich ärgere mich noch immer darüber, wenn ich mir den Kopf stoße und ich fluche auch weiterhin gerne. Aber es ist tatsächlich anders. Woran ich mich noch immer gewöhnen muss...

Mir ging es die Tage nach dem Vipassana-Kurs sehr komisch. Die ersten zwei Tage nach dem Kurs war ich sehr sehr aufmerksam, ich konnte deutlich spüren, dass ich zehn Tage lang meine Aufmerksamkeit trainiert hatte. Das fand ich sehr spannend, sehr. Ich bin schon immer fasziniert und begeistert von der Plastizität des Gehirns, der Wahrnehmung, der Neurologie. Ich habe ganz deutlich erlebt, was möglich sein kann, wenn man sein Gehirn anfängt mal anders zu benutzen. Es war aber nicht nur toll und ich habe mich keine Sekunde auf einem Höhenflug befunden. Ich war zweitweise richtig niedergeschlagen. Wenn doch eh alles vergänglich ist... und ich habe das wirklich so empfunden, in allem, was ich sah, dachte, fühlte... wo ist da der Sinn? Und was nun? dachte ich. Kann ich jetzt keine Leidenschaft mehr empfinden? Ich liebe Leidenschaft. Kann ich mich jetzt nicht mehr verlieren, wenn ich alles objektiv betrachte? So fühlte es sich an, es ist ebenfalls schwer zu beschreiben, aber jegliche Lebensfreude und Leidenschaft war wie ausgetrocknet. Ich wollte alles wieder rückgängig machen. Ich konnte keine Musik hören, kein Film schauen, Lesen klappte nicht. Sehr verwirrend, sehr.

Ich verließ Kathmandu, weil es mir zu viel war, zu laut. Ich fuhr nach Bandipur, ein sehr kleiner Ort, in dem die Einwohner noch nicht so Touristen-fixiert sind und ihr Leben leben, sich nicht darum kümmern englisch zu lernen und nicht zu allen Touristen freundlich sein müssen. Mir gefällt das. Der Ort erinnert an Nepal vor 200, 300 Jahren. Die Häuser sind im typischen Newari-Stil, ein ganz typischer Architekturstil Nepals und die Nepalesen sind in vielen Hinsichten wahre Künstler. (Und sie sind sehr klein, im Kopf stoßen bin ich Meister.) Ich habe im Bus ein Pärchen kennen gelernt mit dem ich meine Zeit dort verbrachte. Dass ich meinen Freund in dieser Zeit besonders vermisst habe, muss ich vermutlich nicht erwähnen. Aber ich will erwähnen, dass ich den besten Freund der Welt habe, der es sogar schafft, mich zu verstehen und aufzuheitern auch wenn 6000 km Distanz zwischen uns liegen.

Meine Freunde will ich auch erwähnen, die so lieb und klug sind und mich daran erinnerten, dass meine Erfahrungen, die ich hier gerade sammel, sehr wertvoll sind, inspirierend und nicht alltäglich. Auch habe ich in Bandipur jemanden kennen gelernt, der schon mehrere Vipassana-Kurse gemacht hatte und mir klar machte, dass ich mir einfach ein wenig Zeit zur Regeneration geben solle und nicht vergessen dürfe, dass hinter all dem auch was gutes für mich stecke. Sehr viel mehr gab es darüber nicht zu reden. Ich fand es angenehm, wie sachlich er das ganze sah. Als sei es eine Art Ausschlag, der bald wieder verschwindet oder sowas. Kein Blabla, alles ganz pragmatisch als sei es das normalste der Welt.

Auch wenn Bandipur nicht viel zu bieten hat, war ich aktiv. Besonders cool fand ich den Ausflug zur größten Höhle Nepals. Etwa 10 Meter breit, 20 Meter hoch und 450 Meter lang. Eine halbe Stunde kletterten wir im dunkelsten Ort herum, den ich jemals erlebt habe (man konnte wirklich NICHTS sehen und die Taschenlampen spendeten auch nicht sonderlich viel Licht) und es war sehr abenteuerlich und nicht ganz ungefährlich. Ein bisschen Nervenkitzel gehört dazu. Mir kamen auch immer wieder Gedanken an Sadhus, das sind hinduistische Heilige, die teilweise mehrere Jahre oder Jahrzehnte in Höhlen verbringen, abgeschieden von allem um dort zu meditieren und zu leben. Wie manche so ihre Lebenszeit verbringen ist ziemlich spannend...

Ich wollte mich nicht weiter verkriechen und da Pokhara nicht weit entfernt war und Silvester bevorstand, machte ich mich auf den Weg dorthin. Und da sah ich die Berge und spürte wieder dieses fette Herz-Gefühl in mir. "Balsam für die Seele" hat hier echt ne neue Bedeutung für mich bekommen. Ich kam an, setzte mich in ein Cafe in die Sonne am See und freute mich über die E-Gitarren-Musik und dann... oha... stellte ich fest, dass ich mich wieder über Musik freuen kann. Es ist noch immer ein Herantasten, aber ich entdecke das gerade neu und das hätte ich nienieniemals im Leben erwartet, dass ich sowas mal erleben werde. Abends schaute ich einen Film und stellte immer wieder fest, wie dümmlich ich vor mich her grinste. Hat Spaß gemacht. Ich bin ein bisschen wahnsinnig momentan, aber es fühlt sich nicht bedrohlich an.

Ich hatte diese Art von Selbstfindungstrip nicht erwartet und nicht beabsichtigt. Es ist passiert wie die Tatsache, dass ich plötzlich ohne großes Dazutun ein Flugticket nach Nepal besaß. Ja, ich glaube an Schicksal und das ist etwas, was mir bei der ganzen Vipassana-Sache fehlte. Es heißt, jeder hat eine andere Wahrheit, jeder sollte sie erfahren. Keine Ahnung, ob ich gerade wirklich sowas wie "meine Wahrheit" entdecke, aber irgendwas geht in mir vor sich, keine Frage. Es ist klar und bunt. Ja, ich weiß, für manche mag das verrückt klingen und komisch, aber is mir egal. Man muss sich jedenfalls keine Sorgen um mich machen, im Gegenteil. Vielleicht bleibt auch alles, was hier in Nepal passiert in Nepal und zurück in Deutschland wird mir alles wie ein Traum vorkommen, der nach und nach verblassen wird. Und wisst ihr was? Es ist mir egal. Ist es tatsächlich. Ich freue mich einfach nur, dass das alles passierte, passiert und dass ich bald meine Familie und meine Freunde wieder sehen kann.

Mein Silvester war ganz schön. Ich war in Gesellschaft mit einer Schwedin (mit der ich dann auch noch einige äußert entspannte und lustige Tage in Pokhara hatte), zwei Dänen und einem Belgier. Wir waren auf dem Street Festival hier, haben nepalesische Männer beim tanzen/komplett ausrasten beobachtet und waren um 12 dann selber noch tanzen und ich konnte mein Neujahrs-Bier in netter Gesellschaft trinken, das war mir wichtig gewesen.

Es sind jetzt noch 12 Tage, die ich hier in Nepal habe. Ich habe nicht das Gefühl, jetzt noch groß auf Entdeckungstour gehen zu müssen. Ich genieße jetzt meine Tage in Pokhara und noch ein paar in Kathmandu und dann werde ich im Flieger sitzen und krass irritiert sein, wie schnell vier Monate doch vorbei gehen können.

Ich stelle gerade fest, dass dieser Eintrag ziemlich persönlich ist und kurz habe ich überlegt, ob es nicht besser wäre, weniger von mir preis zu geben. Was treibt mich dazu euch das alles zu erzählen? Ich glaube es ist vor allem der Wunsch, verstanden zu werden. Naja und wenn nicht, dann auch nicht schlimm. All meine Gedanken und Eindrücke und Gefühle von hier fest zu halten, dass ist eh unmöglich. Mir kommen gerade so viele Dinge in den Kopf, die ich noch erwähnen könnte. Aber ich kümmer mich jetzt lieber mal um diese Sache, die sich "Hier und Jetzt" nennt und dazu bestelle ich mir einen heißen Kaffee. <3

Ach und wenn ich schon dabei bin, will ich das ganze noch abrunden: mein größter Wunsch ist Weltfrieden und mehr Humor hinter allen Dingen.

Auf ein neues... mal sehen, was 2015 so für uns bereit hält...

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